Silvia Matthies
Fernsehjournalistin
Wie will ich sterben
Die Freiheit des Menschen am Lebensende
Autorin: Silvia Matthies
ARD, März 2001, 45 Min
KRITIKEN
Neue Züricher Zeitung 24.03.2001
Lieber Sterben
ARD 21. März 2001
Wenn ein junger Motorradfahrer nach einem schweren Unfall mit allen Mitteln der Hightech-Medizin vor dem Tod bewahrt wird, kommt wohl kaum jemand auf die Idee, man hätte ihn besser sterben lassen. Wenn eine unheilbar kranke, 96 jährige Frau nichts sehnlicher wünscht, als von ihrem Leiden erlöst zu werden – dann stellt sich umgekehrt die Frage nach dem Sinn lebensverlängernder Maßnahmen. „Wie möchte ich sterben?“ Die Freiheit des Menschen an seinem Lebensende – in ihrer emotional bewegenden, aber nirgends Leid und Tod ausschlachtenden Dokumentation stellt die Autorin Silvia Matthies diese Frage sehr dringlich. Als Filmgestalterin gibt sie Antwort nicht nur im Kommentar und via Interviews, sondern natürlich vor allem in Leidens-Bildern. Man wird so schnell jenen todkranken 60jährigen nicht vergessen, der nicht mehr sprechen kann und durch eine zischende Beatmungsmaschine Luft zugeführt erhält. Sein Kopf ist fast schon ein Schädel, der meist offene Mund erscheint als schwarze Höhle. Doch der Mann ist voll bei Bewusstsein. Er will sterben.
Während die Errungenschaften der modernen Medizin ihn am Leben erhalten, gibt ihm der Fortschritt in der Bildtechnik Gelegenheit, seinen Wunsch ohne Worte zu vermitteln. Silvia Matthies zeigt nämlich als Film im Film ein Video des Todkranken. Er beantwortet durch deutliches Nicken oder Kopfschütteln Fragen seines Rechtsanwaltes, gestellt in einer Patientenverfügung übers eigene Sterben. Doch beweist Matthies‚ Film anhand von mehreren Fällen, dass Ärzte, trotz der klaren Gesetzeslage in Deutschland, solche Verfügungen oft kaltschnäuzig missachten. Da spricht ein Mediziner von Mord, falls im obigen Fall die Beatmungsmaschine ausgeschaltet würde- während ein Sozialarbeiter meint, der Todkranke auf dem Video habe stimmlos geschrieen. Danach nämlich, sterben zu dürfen.
Die Filmerin ist klar in ihrer liberalen Auffassung hinsichtlich der passiven Sterbehilfe: Patienten sollen einen selbst bestimmten Tod sterben dürfen. In diesem Punkt hat Deutschlands oberstes Gericht, der Bundesgerichtshof, ein bemerkenswertes und folgenschweres Urteil gefällt. Wenn jemand gegen den Willen eines todgeweihten Patienten dessen Leiden künstlich verlängert, bedeutet das rechtlich
„Körperverletzung“.
Mit diesem Richterspruch verschafft sich die Autorin besondere Rückendeckung in ihrer entschiedenen Parteinahme für die passive Sterbehilfe, zum Beispiel: Entfernen der Magensonde für die künstliche Ernährung. Fairerweise räumte Matthies aber auch Gegnern der Sterbehilfe genug Platz ein für ihre Argumentation. Deren Worte haben es, zugegeben, nicht leicht gegen die naturgemäß suggestiven Bilder vom Leid derer, die sterben wollen, aber nicht sollen.
Der Film ist ein umsichtiger Beitrag zur Reflexion über ein heißes Thema, das auch in der Schweiz die Gemüter erregt. Gut, dass die Autorin die Problematik über die Einzelfälle hinaus vor dem Hintergrund gesellschaftlich tabuisierter Zustände in (nur deutschen?) Pflegeheimen entfaltet. Da fehlt es nur allzu oft an Geld und Personal, um die Pflegebedürftigen in Würde leben- oder eben auch sterben zu lassen.
Angeschlossen an den Beitrag wurde eine Diskussion über die in Holland legalisierte und praktizierte aktive Sterbehilfe. Diesmal ergriff Matthies Partei dagegen. Doch machte sie es sich zu einfach. Sie ließ ihre Gewährsleute bevorzugt über krasse Missbräuche berichten. Da verlangte etwa eine holländische Familie im Fall aktiver Sterbehilfe für die Großmutter bei dem behandelnden Arzt Beeilung- wegen offenbar unaufschiebbarer Ferientermine.