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TAZ – Standbild: Ersatzteillager Mensch

Organhandel ZDF „Die Reportage“, 18. April 1989, 19.30 Uhr, 45 Min

az Berlin 21.04.1989

S T A N D B I L D

Enthüllungsjournalismus at its best

Ersatzteillager Mensch, ein Bericht von Sylvia Matthies, Di 18.4. 19.30 Uhr, ZDF

Ahnungslose junge Inder werden unter Vorwänden ins Krankenhaus geschleust. Beim Aufwachen aus der Narkose haben sie meist eine Niere weniger und ein paar tausend Mark mehr. Doch die reichen nicht lange, denn mangels medizinischer Versorgung bleiben viele für den Rest des Lebens arbeitsunfähig. Das ist nicht etwa Stoff eines neuen Horrorfilms, sondern die nackte Realität in Bombay. Und nicht nur dort. Denn der Handel mit Organen ist nirgendwo gesetzlich geregelt. Und freiwillige Spender lassen sich von hohen Summen locken.  
Ungestraft dürfen den Spendern dabei gesundheitliche Risiken verschwiegen werden, niemand ist verantwortlich, wenn die gespendeten Organe vom Körper des Empfängers wieder abgestoßen werden. Nur die Dealer verdienen sich eine goldene Nase. Silvia Matthies täuschte Kaufinteresse vor und ging dem skrupellosen Geschäft in der Bundesrepublik und in Indien nach. Gefilmt wurde aus dem Koffer und, wenn es gar nicht anders ging, lief wenigstens das Tonband mit. Systematisch ertastet sie den rechtsfreien Raum, stößt an keine Grenzen.
Die Entscheidung darüber, ob ein Mensch tot ist, nur weil seine Gehirnfunktionen erloschen sind, obliegt allein dem Arzt. „Hirntoten“ werden gerne Organe entnommen, weil der Körper noch künstlich am Leben gehalten werden kann. Sylvia Matthies spricht mit einem britischen Spezialisten. Er berichtet von einem Fall, bei dem eine hirntote Schwangere noch siebeneinhalb Wochen weiterlebte und ein lebendes Kind zur Welt brachte. Wo liegen die Grenzen zwischen Ethik, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen? Abgründe tun sich hier auf.
Immer wieder gibt es Gerüchte darüber, was mit abgetriebenen Föten  geschieht. Eine Plastikdose in Großaufnahme. Das, was darin liegt und aussieht wie ein Stück Stoff, ist ein frisch abgetriebener Fötus. Der Schweizer Arzt Samuel Stutz hat ihn von einem deutschen Gynäkologen für 500 DM gekauft. Auch Embryonen habe er ihm angeboten. Die Frauen wissen natürlich nichts davon.
Es ist unglaublich. Dieselben Männer, die Abtreibung kriminalisieren, drücken beide Augen zu, wenn es darum geht, aus der Qual der Frauen auch noch Profit zu schlagen. Gerissene Ärzte lassen sich gleich doppelt entlohnen.
Politisch, medizinisch, moralisch und ethisch gibt es hier, unter einer dünnen Kruste von Ignoranz, einen einzigen Sumpf. Sylvia Matthies hat ein Loch hineingeschlagen. Öffentlich-rechtlich, zu guter Sendezeit. Das kann, das darf nicht folgenlos bleiben.
Petra Kohse

Eine Kopie der Kritik, wie sie in der Zeitung erschienen ist, liegt vor und kann gerne per E-Mail bei Silvia Matthies angefordert werden.