Silvia Matthies
Fernsehjournalistin
Süddeutsche Zeitung 10.10.1992
Zynischer Handel
Gesucht wird……… ein Versicherungstrick (ARD/WDR) Schlimmer kann es kaum noch kommen. Da führt ein Rinderhirnpräparat bei etlichen Patienten wenn nicht zum Tode, so doch zu schweren Lähmungen und wird daraufhin wegen „schwerer Nebenwirkungen“ auch vom Markt genommen. Und was geschieht wohl, sobald es um Entschädigungen geht? Mit den Opfern (sofern sie noch leben) und mit deren Angehörigen wird seitens der Versicherung ein zynischer Handel getrieben. Zunächst sind es schäbige 25.000 Mark, dann wird noch einmal genauso viel draufgelegt und erst, wenn der Versicherung gar nichts mehr übrig bleibt, können`s 675.000 Mark sein. Immer vorausgesetzt, die ohnehin in ihrer Existenz meist ruinierten Opfer sind nicht vorher schon weich geklopft worden – mittels arglistiger Täuschung, Verzögerungstaktik oder gar Erpressung. Von der Bundesaufsichtsbehörde und vom Bundesgesundheitsamt ist diesbezüglich auch keine Hilfe zu erwarten, hier hält man harte, das heißt gerichtsverwertbare Fakten im Zweifel lieber zurück – zum Nachteil der Patienten und zum Nutzen der Versicherung. Silvia Matthies hat das alles gründlich recherchiert und genauestens zur Skandalchronik gereiht, am Beispiel immer neuer Einzelfälle, die offenbar Methode haben. Randvoll ist ihre Reportage mit Ungeheuerlichkeiten, die dem Gesetzgeber eigentlich in den Ohren klingen müssten. Bis zur letzten Sekunde schöpfte sie die Zeit aus und kam am Ende fast außer Atem dabei. Was die Autorin von den doppelt und dreifach Geschädigten erfuhr und mit Hintergrundfakten untermauerte, war wahrscheinlich auch für die Versicherungsmanager so peinlich, dass sie es vorzogen, trotz Interview-Zusage einfach die Schotten dicht zu machen: keine Stellungnahme! Dafür ließen sie bei Vorgesprächen mit der Autorin schon mal heimlich das Tonband mitlaufen, um so noch besser einzuschätzen, wie weit sie gehen können in den betreffenden Fällen.
Roland Timm
Süddeutsche Zeitung 08.10.1992 (Ankündigung)
Akten, die wie geheimdienstliche Papiere behandelt werden
Eine Reportage über den Umgang von Versicherungen mit Geschädigten
20.15 ARD Jährlich werden bei uns zahlreiche Medikamente vom Markt gezogen, weil es im Zusammenhang mit der Einnahme zu massiven Schädigungen kam. Aber das heißt noch lange nicht, dass die Betroffenen mit einer angemessenen Entschädigung rechnen können. Wie es Pharmafirmen und ihren Versicherungen immer wieder gelingt, Zahlungen entweder ganz zu verweigern oder auf ein Minimum zu reduzieren, ist das Thema von Silvia Matthies` Reportage „Gesucht wird…. ein Versicherungstrick“.
Die Autorin beschreibt unter anderem den Fall eines freiberuflichen Architekten, bei dem es nach der Einnahme eines Rinderhirnpräparates der Firma Madaus zu Lähmungen kam. Zwei Wochen nach der Behandlung wird das Medikament vom Markt genommen , dennoch kann die Versicherung des Pharmaunternehmens, der Gerlingkonzern, den gesundheitlich schwer geschädigten glauben machen, es handele sich um einen Einzelfall, zwei weitere „sogenannte Geschädigte“ seien mangels Beweisen bereits von ihren Forderungen zurückgetreten. Nach einer Zahlung von DM 70.000 durch Gerling tritt der Architekt alle weiteren Ansprüche ab. Erst gut ein Jahr später erfährt er in einem Beitrag der Reihe „Bilder aus der Wissenschaft“, den ebenfalls Silvia Matthies verantwortete, dass es durch das Präparat zu lebensbedrohlichen Lähmungen kam.
Geschehen konnte das nur, sagt die Autorin, weil bei uns die Industrie nicht dazu verpflichtet ist, die Geschädigten zu unterrichten. Auch vom Bundesgesundheitsamt könnten die Geschädigten nur wenig Hilfe erwarten. Die Pharmaindustrie muss zwar jeden Fall dem Bundesgesundheitsamt melden, den Betroffenen gebe die Behörde allerdings höchst vage Auskünfte. „Die Geschädigten erfahren noch nicht einmal, dass sie vom BGA begutachtet wurden“, moniert die Reporterin, „ mit Hinblick auf den Datenschutz werden die Akten wie geheimdienstliche Papiere gehandelt.“
Eine reelle Chance, ihre Ansprüche wirksam geltend zu machen, hätten die Geschädigten nur, wenn sie sich zusammenschließen könnten. Aber genau das verhindere die mangelnde Aufklärung durch das Bundesgesundheitsamt. Denn der Durchschnittsbürger habe keine Möglichkeit, an Informationen zu kommen, auch die behandelnden Ärzte hielten sich eher bedeckt.
„An dieser Praxis muss sich dringend etwas ändern“, fordert Matthies. In den USA und Schweden beispielsweise erhalten die Betroffenen alle verfügbaren Daten. Weil bei uns die Pharmafirmen und ihre Versicherungen so schonend behandelt werden, zahlt die Zeche letztendlich der Bürger – über die Solidargemeinschaft der Krankenkassen. Der Fall eines schwer gelähmten Mannes, den sie in ihrem Film erwähnt, hat die Kassen bisher 900.000 Mark gekostet. Angesichts der Kostenexplosion im Gesundheitswesen ist es mehr als fraglich, ob sich die Solidargemeinschaft der Versicherten diese Praxis weiterhin leisten kann.
Bärbel Holzberg