Silvia Matthies
Fernsehjournalistin
Experimente an wehrlosen Patienten
Versuche an psychisch Kranken und Behinderten
Autorin: Silvia Matthies
ARD, März 1998. Veränderte Fassung November 1998 BR, 45 Min
IPPNW Medizinpreis „Medizin und Gewissen“ 2001
KRITIKEN
Frankfurter Rundschau
„Wehrlose Patienten (ARD)“
Vorbildlich
Die Würde des Menschen ist in Gefahr. Damit ist die Botschaft schon gleich zu Beginn des Beitrages ausgesprochen. Und die Belege folgen auf dem Fuß. Silvia Matthies führt eine Reihe von Beispielen an, die zeigen, wie wehrlose Menschen rasch zum Objekt von Forscherinteressen werden können. Noch ist in Deutschland das meiste dessen verboten, was in Europa demnächst erlaubt werden soll.
Sylvia Matthies diskutiert biomedizinische Themen nicht aus der engen und einseitigen naturwissenschaftlichen Perspektive. Sie bindet vielmehr individuelle Ansprüche von Eltern und Patienten mit der gesellschaftsverändernden Kraft neuer Technologien zusammen, wägt sie gegeneinander ab und legt großen Wert auf die Debatte der sozialen Folgen.
Wohin dies führen kann und welche Gefahren dies birgt, hat Matthies eindrucksvoll aufgzeigt. Akribisch hat die Journalistin recherchiert, hat Zusammenhänge aufgedeckt, ökonomische Interessen benannt und zumindest rechtliche Grauzonen, wenn nicht sogar Gesetzesverstöße, publik gemacht. Und immer dann, wenn die Kamera an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gestoßen ist, gewann die Reportage noch an Intensität. Denn fast durchweg weigerten sich die Experimentatoren, vor das Mikrofon zu treten und sich und ihre Forschung an geistig Behinderten und psychisch Kranken zu erklären und zu legitimieren: beredtes Schweigen.
Silvia Matthies hat ein extrem schwer zu vermittelndes Thema exzellent für das Fernsehen umgesetzt. Und sie hat dabei auf Effekthascherei, Computersimulations-Schnickschnack und zwanghaft dramatisierende Einstellungen verzichtet. Der Ton war ruhig, das Ziel Aufklärung, und der Verzicht auf Aufgeregtheiten hat der Reportage zusätzliche Tiefe gegeben.
Zum einen hat die Autorin die zweifelhaften Untersuchungen an hilf- und wehrlosen Menschen wie umstrittene Medikamenten-Tests und dubiose humangenetische Untersuchungen ohne therapeutischen Nutzen benannt, aber sie ist nicht bei der Anklage stehengeblieben. Denn Matthies hat den Gegenentwurf gleich mitgeliefert: in Porträts betroffener Menschen und der Welt, in der diese leben. Die Autorin machte sich darin stark für die Bedürfnisse dieser Menschen, für eine bessere Pflege und Betreuung, für Akzeptanz und Sensibilität und unterstrich nachdrücklich, daß die verengte Konzentration auf eine medizinisch-technische Therapieeuphorie, die hilflose Patienten zu ihren Objekten macht, nicht nur zu Lasten der Betroffenen geht, sondern auch die Humanität der Gesellschaft insgesamt in Frage stellt.
Datum: 09/07/1998
Publikation: FR Ressort: FTV
Seite:
Ausgabennr.: 156 Zeilen: 42
Autor: rbh
Passauer Neue Presse vom 4./5. April 1998
TV-Kritik
Menschen als Versuchstiere
Von Stephan Handel
Experimente an wehrlosen Patienten (ARD)
Wer würde nicht alle möglichen medizinischen Experimente an sich dulden- wenn sie denn helfen würden, heilen, lindern, kurieren? Was allerdings die Bioethikkonvention des Europarates vorsieht, geht weit über zumutbare „Selbstversuche“ hinaus: Behinderte, Kranke, Komatöse, Menschen also, die gewöhnlich nicht in der Lage sind, eigenständige Entscheidungen zu treffen, sollen benutzt werden dürfen für medizinische Versuche- auch wenn sie keinerlei Nutzen davon haben. Sie werden so degradiert zu Labortieren, ebenso wenig wie diese werden sie gefragt, ob sie einverstanden sind mit dem, was der Forscherdrang der Ärzte mit ihnen und an ihnen veranstaltet. Die Bundesrepublik hat das Abkommen bis jetzt noch nicht unterzeichnet. Dass das am besten auch so bleiben sollte, dürfte jedem klar geworden sein, der Silvia Matthies sensible und informative Reportage- leider zu später Stunde- gesehen hat.
Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 13, 27. März 1998
Ärzteblatt TV-Tip
„Experimente an wehrlosen Patienten. Die Interessen der Forschung und die Würde des Menschen“ – so der Titel eines Berichtes von Silvia Matthies, den das Erste Deutsche
Fernsehen (ARD) am 2. April, 23 Uhr, ausstrahlt.
Die Autorin befaßt sich kritisch mit der sogenannten Bioethik-Konvention, nach welcher der Europarat Forschung an Nichteinwilligungsfähigen ohne unmittelbaren Nutzen für den Betroffenen unter bestimmten Voraussetzungen gestatten will.
An einem Beispiel aus Schweden, einem Land, das für besondere Humanität steht, soll gezeigt werden, daß dort trotz Menschenrechtsdeklarationen und Ethikkommissionen Kariesversuche an geistig Behinderten vorgenommen wurden. EB