Phone Email Scroll Top

Badische Zeitung – Die Fernsehkritik: Ersatzteillager Mensch

Organhandel ZDF „Die Reportage“, 18. April 1989, 19.30 Uhr, 45 Min

Badische Zeitung 20.04.1989

Die Fernsehkritik
Horrorkabinett
Ersatzteillager Mensch (ZDF)

Was bitteschön darf es sein? Ein Adelstitel, ein Baby aus der Dritten Welt oder eine Niere: Für skrupellose Profiteure ist der schwunghafte Gemischtwarenhandel „ein Geschäft wie jedes andere auch.“ In der Bundesrepublik bewegen sie sich, was den Organverkauf betrifft, in einem rechtsfreien Raum. Ihre Praktiken freilich sind mehr als nur moralisch zweifelhaft.
Silvia Matthies besichtigte in ihrer glänzend recherchierten Reportage den freien Markt für Organe, Föten und lebendiges Gewebe.
Ein Blick in das Horrorkabinett gnadenloser Profitgier. Und in ein gesetzliches Niemandsland, der nicht nur die Machenschaften Einzelner, sondern auch die Praktiken der medizinischen und gentechnologischen Forschung an den Pranger stellte: „Abtreibungsmaterial“ und  Frühgeburten  werden in der Bundesrepublik „ wie frische Brötchen über den Ladentisch geschoben.“ Die Bundesregierung sieht für die gentechnologischen Versuche an lebenden Föten „ gesetzlich derzeit keinen Handlungsbedarf“.
Der Handel mit Organen und Geweben freilich sprengt nicht nur hierzulande die Grenzen ethischer Verantwortbarkeit, er ist vor allem in den Ländern der Dritten Welt ein grenzenloser Markt krimineller Ausbeutung. Rekrutiert ein Hamburger Organverkäufer aus der Schuldenkartei („Die sind sowieso nah am Selbstmord“), so werden die Menschen kurz vor dem Hungertod in Indien beispielsweise gar nicht erst gefragt. Silvia Matthies recherchierte mit ihrem Team ( und versteckter Kamera) vor Ort und entdeckte in den Slums von Bombay „eine riesige Organbank“.
Mit von der Partie ist der Filz aus Bürokratie, Krankenhäusern, Pharmaindustrie und Mafia. Daß zudem in den Ländern Lateinamerikas schon Kinder als „Ersatzteillager“ für den reichen Westen im wahrsten Sinne des Wortes ausgenommen werden, gehört zu jenen Tatsachen, die ( nicht nur) die US-amerikanische Regierung bis heute schlicht verleugnet. Der zeitgenössische Kolonialismus hält sich an die lebendigen Ressourcen.
Die betont sachliche Reportage, die in erster Linie Betroffene, Bilder und Fakten sprechen ließ, führte einmal mehr vor Augen, wie sich die Regierenden aus der Verantwortung stehlen, wenn technischer Fortschritt und Profitgier lukrative Allianzen eingehen.

Eine Kopie der Kritik, wie sie in der Zeitung erschienen ist, liegt vor und kann gerne per E-Mail bei Silvia Matthies angefordert werden.